Die Branche prognostiziert das Ende der klassischen, gänzlich unvernetzten TK-Anlage. UCC-Funktionen und flexible Bereitstellungsmodelle sollen sich künftig durchsetzen. Noch herrscht im Markt ein anderes, konservativeres Stimmungsbild vor. Die Prioritäten heißen: Investitionsschutz und Sicherheit.

In den letzten Jahren hat der Markt für Kommunikationslösungen eine beeindruckende Vielfalt entwickelt. Während die klassische Nebenstellenanlage noch vor nicht allzu langer Zeit nur als Vor-Ort-Variante erhältlich war, haben sich nicht zuletzt aufgrund der Umstellung auf IP neue Spielarten wie Cloud-Telefonanlagen, Soft-PBX oder hybride Modelle etabliert. Ein facettenreiches Lösungsportfolio, das Unternehmen die Wahl lässt – gleichzeitig aber die Herausforderung der richtigen Entscheidung mit sich bringt.

Ein Entschluss, der nicht leichtfertig getroffen werden sollte, kommt das Kommunikationssystem doch im Idealfall über Jahre hinweg zum Einsatz und kann auf nicht zu vernachlässigende Weise die Arbeitsabläufe im Unternehmen prägen. Viele Hersteller sprechen hier eine klaren Empfehlung für eine PBX aus der Cloud aus: „Eine Cloud-Einführung ist ratsam, denn daraus resultieren vielfältige Vorteile wie niedrigere Betriebskosten, flexible Skalierbarkeit oder erhöhte Kunden- und Mitarbeiterbindung“, erklärt Jan Hickisch, Vice President Global Solution Marketing bei Unify. Eine Stoßrichtung, die auch andere Anbieter sehen. „Bei der Stimmungslage hat es in jüngster Zeit einen starken Umschwung in Richtung Cloud-Anlagen gegeben“, so Rudi Stahl von Snom.

Ist der Markt also gänzlich auf dem Weg in die Cloud? Noch haben IP-Centrex-Lösungen im Vergleich zu On-Premise-Systemen lediglich einen kleinen Marktanteil, wie ITK-Distributoren gegenüber funkschau bestätigen. Betrachte man nur die absoluten Zahlen, blickt On-Premise nach wie vor auf einen Riesenvorsprung, sagt Guido Nickenig, Senior Director Pre-Sales DACH bei Westcon UCC. Ähnlich schätzt auch Matthias Erber, Senior Manager Unified Communications bei Ingram Micro, den Markt ein: „Ein großer Teil ist aktuell noch Austauschgeschäft.“ Sprich, eine alte Lösung wird durch ein identisches oder ein neues Produkt vergleichbaren Funktionsumfangs ersetzt. Der Sprung auf neue Technologien wie Cloud-Anlagen oder umfangreiche UCC-Lösungen bleibt hier vorerst aus. Eine Entwicklung, die auch eine aktuelle Umfrage des Netzwerkausrüsters Lancom unterstreicht. Demnach nutzen 59 Prozent der 479 befragten Unternehmen ihre ISDN-TK-Anlage über ein Gateway weiter und lediglich vier Prozent der Teilnehmer sind auf eine Lösung aus der Cloud umgestiegen.

Ein Ende naht
Trotz der nach wie vor unangefochtenen Vorherrschaft der On-Premise-Modelle im deutschen Markt soll zukünftig aber nicht alles beim Alten bleiben: „Die klassische, isoliert stehende Telefonanlage ganz ohne Integration? Ja, die wird über kurz oder lang verschwinden“, erklärt Nickenig. Wann es soweit sein wird, dazu gibt es unterschiedlichste Prognosen, oszillierend zwischen Monaten und Jahren. „Es gibt Meinungen, dass die klassische Telefonanlage in 18 Monaten tot ist“, sagt Erber. Der Experte von Ingram Micro möchte sich selbst nicht festlegen, bestätigt aber, dass auch er von einem starken Wachstum von Unified-Communication- und Cloud-Lösungen im Gesamtmarkt ausgeht. Ein Indikator ist der entsprechende UC-Produktbereich des Distributors, der aktuell ein Wachstum von 130 Prozent vorweisen kann. „Heute ist Kommunikation ganz anders als früher“, so Erber.

TK-Anlage als „Informationsdrehscheibe“

Die Kommunikationsinfrastruktur im Unternehmen muss in Zukunft weit mehr leisten, als nur zu telefonieren und gegebenenfalls zu faxen. Technisch ist mittlerweile viel möglich. Ob Video, Präsenzanzeige, Chat oder die Integration der Systeme in die Prozesse – „es geht um mehr, als nur zu telefonieren oder Nachrichten zu verschicken“, sagt Hickisch. „Es geht darum, die Vernetzung, die Kommunikation und die Kollaboration im Unternehmen zu stärken.“ Welche Funktionen dabei besonders wichtig sind, hänge wiederum von den entsprechenden Gegebenheiten in den Unternehmen ab. Während sich der eine Anbieter für Desktop-Sharing ausspricht, sieht ein anderer den Schwerpunkt eher bei Schnittstellen zu sozialen Netzwerken. Telefonfunktionalitäten wie beispielsweise Autoprovisionierung der Endgeräte sollen laut Stahl heute hingegen zum Standard gehören. Er rückt stattdessem die Nutzerfreundlichkeit der Anlagen in den Fokus: „Denn alle Funktionen sind nur dann interessant, wenn sie sich den Anwendern schnell erschließen“, so der Snom-Manager. „Nur so kann die Anlage die gewünschte Effizienz und Produktivitätssteigerung bringen.“
„Die moderne TK-Anlage wird sich zu einer Informationsdrehschreibe entwickeln – je nach Anlass wählt man exakt den Kanal und das Medium, das man benötigt, um seine Aufgabe am effizientesten zu erfüllen“, prognostiziert Frank Kirsch, Head of Midmarket Germany bei Avaya. Eine wichtige Grundlage schaffe dabei der Wechsel auf IP-Anschlüsse, der es ermögliche, moderne Multimedia-Anwendungen problemlos aufgrund der nahtlosen Verknüpfung zu nutzen. „War ein ISDN-Anschluss noch auf zwei Sprachkanäle, also zwei Gespräche gleichzeitig limitiert, sind die SIP-Anschlüsse des VoIP-Netzes beliebig skalierbar“, erklärt Hickisch. Einzig an der Netzverfügbarkeit scheint es teils noch zu hapern. Denn wo neben Telefongesprächen, die bei VoIP bis zu 150 kBit/s in Anspruch nehmen können, Videokommunikation, Datenaustausch und andere Kanäle genutzt werden, kann der Internetanschluss schnell zum Flaschenhals werden. „Wenn man bedenkt, dass moderne UCC-Systeme erst ab 50 MBit pro Sekunde richtig Spaß machen, dann gibt es definitiv noch zu viele weiße Flecken auf der Breitbandlandkarte“, so Nickenig.

Zwei Blickwinkel

Es herrscht eine Diskrepanz zwischen Anbietern und Anwendern. Während in vielen Unternehmen selbst nach dem Anschlusswechsel noch ISDN-Anlagen zum Einsatz kommen, drängen die Hersteller zu vernetzten Kommunikationslösungen. „Es geht um ein besseres Miteinander, und das reicht von der Dateiablage über mobiles Arbeiten bis hin zur spontanen Einbindung von Experten in ein Kundengespräch“, erklärt Hickisch von Unify. Eine klassische TK-Anlage allein könne das nicht leisten.
Vernetzte Systeme sollen für Unternehmen hingegen mit klaren Vorteilen einhergehen, TK-Anlagen heutzutage weitaus mehr leisten als nur zu
telefonieren – beispielsweise Funktionen bieten, die eine flexiblere Arbeitsweise erlauben. Für Entscheider empfiehlt es sich, frühzeitig alle Optionen in Betracht zu ziehen. „In einem inhabergeführten Fertigungsunternehmen steht auch heute noch eine kleine TK-Anlage im Serverraum und ein Dect-Telefon auf dem Schreibtisch, während ein mittelständischer Software-Anbieter schon mit Softphones über die Cloud telefoniert“, berichtet Nickenig. „Man merkt aber über alle Unternehmen hinweg eine gewisse Aufbruchsstimmung.“ Die Investitionsbereitschaft sei so hoch wie nie.
Neben der All-IP-Umstellung sorgt auch die wachsende Zahl an Herstellern für Bewegung im Markt. „Im Telekommunikationsbereiche gab es lange Zeit eine Fokussierung auf große Hersteller“, erklärt Erber. „Das bricht auf. Es geht immer mehr hin zu kleinen Herstellern.“ Diese seien oft viel agiler. Erber zieht den Vergleich des großen Dampfers und des kleinen Schnellboots. Für Anwenderunternehmen kann diese Entwicklung nur positiv sein, ergibt sich doch neben der technischen Vielfalt auch ein größeres Produktangebot, aus dem das passende gewählt werden kann. Statt blind zu entscheiden, bleibt es in Anbetracht des großen Angebotes allerdings nicht aus, die Bedarfe im Unternehmen klar und frühzeitig zu definieren.

Wandel am Horizont

Laut einer aktuellen Umfrage von Gigaset ist die Integrationsfähigkeit der Lösung aktuell aber erst für 52 Prozent der 100 befragten Fach- und Führungskräfte aus kleinen und mittelständischen Unternehmen sehr wichtig. Der Preis des entsprechenden Systems hat mit 73 Prozent heutzutage hingegen noch eine deutlich stärkere Gewichtung. Mit 73 „Sehr wichtig“- und 27 „Wichtig“-Angaben stehen jedoch die Themen Datenschutz und Datensicherheit aktuell ganz oben auf der Agenda bei der Anschaffung einer neuen Telefonanlage. Eine Priorität, die auch Rudi Stahl von Snom für den Umstieg auf IP setzt. „Eine große Gefahr besteht, wenn der unwissende Anwender zu viele Einstellungen selber vornehmen kann und so unter Umständen Sicherheitslücken aufreißt.“ Hier gelte es daher für die Implementierung von TK-Anlagen, die richtige Balance zwischen Anwenderflexibilität und Sicherheitsanforderungen zu finden. „Schwachstellen sollten aber auch durch Einstellungsmöglichkeiten behoben werden können“, empfiehlt Stahl in Hinblick auf die Wahl der richtigen Kommunikationslösung.
Im Markt zeigt sich ein sehr heterogenes Bild. Noch tendieren viele Unternehmen zur Strategie des Investitionsschutzes, setzen bei der IP-Umstellung auf eine sanfte und kostengünstige Migration über ein Media-Gateway. Auch das Austauschgeschäft ist laut der Distribution hoch im Kurs, On-Premise-Lösungen behalten ihren „Riesenvorsprung“, wie Nickenig berichtet. Dennoch prognostizieren viele Anbieter das Ende der klassischen, unvernetzten TK-Anlage. Sie berichten von einer Aufbruchstimmung und über eine steigende Nachfrage nach Unified-Communications-Funktionalitäten und Cloud-Angeboten, die meist Hand in Hand gehen. Ein plötzlicher Ruck im Markt und eine rasant ansteigende Investitionsbereitschaft sind eher unwahrscheinlich – und doch ist abzusehen, dass die Telefonanlage in Zukunft weit mehr leisten muss als zu telefonieren. Wie Kirsch von Avaya sagt, wird sie zur „Informationsdrehschreibe“ und im Idealfall zum Knotenpunkt zahlreicher Kommunikationskanäle, ob On-Premise, aus der Cloud oder als Hybrid-Lösung. Technisch liefert die IP-Umstellung die Grundlage für diese Entwicklung, wenn auch die Bandbreite in vielen Regionen noch nachziehen muss. Und auch die Hersteller haben ihre Produkte entsprechend aufgerüstet. Jetzt ist es an den Anwenderunternehmen, die eigene Infrastruktur vorzubereiten und im Zuge der Digitalisierung entsprechende Systeme umzusetzen, sofern diese zur eigenen Kultur passen. Denn laut Erber sind moderne Kommunikationslösungen allem voran maßgeschneidert.

Quelle: funkschau

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